Sonntag, 18. Juli 2021

Gedankenvoll an einem leeren Sonntag

 Heute ist so ein Tag, an dem nichts geht. Ich wollte eigentlich arbeiten, weil ich unter der Woche an Nevas freien Tagen bei ihr war und nur wenig erledigt habe. Zum Glück ist noch etwas Zeit, da nächste Woche ein Ganztagstermin ausfällt. Jedenfalls bin ich nur am Prokrastinieren. Ich habe schlecht geträumt, mich dann aber heute morgen ganz wohl gefühlt. Ich lag mit einem Buch und Kaffee im Bett, den Blick aus dem Fenster auf den sonnenbeschienenen Laubbaum im Hof gerichtet. Die Vögel zwitschern, Tauben gurren, das Übliche. Gestern war auch ein ziemlich schöner Tag. Ich war unterwegs mit einer Kollegin, die ich über Instagram kennengelernt und schon zweimal getroffen habe. Sie ist kürzlich nach Berlin gezogen. Zuerst war sie mir suspekt mit ihrer lauten, raumgreifenden Art, wirkte auf mich wie ein unheimlich karriereorientierter Mensch, der sein Leben voll im Griff hat und die halbe Welt kennt, gefühlt immer bedacht auf den eigenen Vorteil. Ich hatte das Gefühl, sie wollte mich nur ausnutzen.

Mittlerweile habe ich einen neuen Blick auf sie gewonnen. Als wir mal eine halbe Nacht über alles mögliche geschrieben und kurze Zeit später zusammen einen Talk über Mental Health gemacht haben, änderte sich meine Haltung und ich merkte, dass ich bereitwillig in die Falle getappt war. Da stand ich mal auf der anderen Seite des Panzers. Ich wundere und ärgere mich immer wieder darüber, dass andere in mir oft die Starke, Krasse sehen, die ihr Leben „trotz“ allem so gut im Griff hat. Zu gut, um wahr zu sein! Wer mich länger liest, weiß: Das ist story of my life. Wenn ich augenscheinlich so gut zurecht komme, kann meine Geschichte entweder nicht stimmen – oder ich werde zum Inspiration P*rn. Was diese Zeit nicht alles für tolle, „relatable“ Begriffe hervorbringt. Wobei ich mich oft auch frage, ob ich diese Begriffe überhaupt nutzen darf, wenn meine Hindernisse doch „nur“ psychische, unsichtbare sind...

Darüber und viele andere Themen, die unsere spezielle Arbeit mit dem Leben vermischen und alles so kompliziert machen, haben wir gestern gesprochen. Dabei haben wir uns Blasen an die Füße gelaufen, Pommes gegessen und Kaffee getrunken. Sechs Stunden lang! Die ersten beiden Treffen waren deutlich oberflächlicher und kühler. Dabei sind es doch in allen Kontexten immer noch menschliche Kontakte. Bei Kund*innen und Auftraggebenden muss es natürlich eine gesunde Distanz geben. Aber mit dieser Kollegin bewege ich mich jetzt vielleicht in eine freundschaftliche Richtung. Zu ungefähr so einer Art von Kontakten riet mir auch meine Beraterin – bevor sie mich ghostete. 😅 

Heute ist es zum Verzweifeln. Ich habe in den letzten sechs Stunden nichts gemacht außer einen kurzen Newsletter mit einem Veranstaltungshinweis zu verfassen. Aber auch nichts Freizeitmäßiges oder Entspannendes! Meine Zeit habe ich mit mehr oder weniger sinnlosen Recherchen oder hirnleerem Social-Media-Scrollen verbracht. Und ich versuche schon seit ein paar Tagen, die Daten auf einer Speicherkarte zu retten, die aus unerfindlichen Gründen ständig formatiert werden will. Als sie das erste Mal rumgesponnen hat, habe ich alle Daten auf meinen Laptop kopiert – dachte ich. Ausgerechnet der wichtigste Ordner wurde übersprungen. Es gibt natürlich noch ein älteres Backup, allerdings ist ein halber Text weg, den ich doch ungern noch mal von vorne schreiben würde. Und das Programm, das ich nun ausprobiere, sucht seit heute Mittag nach Daten und ist immer noch nicht fertig. Ich hätte natürlich mit einem anderen Text anfangen können, aber irgendwie kam es dazu nicht. Manchmal gibt es so Tage. Ich wollte eigentlich Sims spielen, doch irgendwie bin ich jetzt hier gelandet. Immerhin sitze ich auf dem Balkon, esse Schokolade und spüre dem Kopfschmerz nach, der sich hinter meiner Stirn ausbreitet.

Es gibt so viel zum Nachdenken, dass es mich überfordert. Krise auf Krise, Nachricht auf Nachricht – ich kann es einfach nicht verarbeiten. Nichts Sinnvolles dazu sagen. Aber ich hoffe, ihr seid alle in Sicherheit. 💖

Bald habe ich Sommerpause. Dann muss ich mich einen Monat lang nicht mehr nach außen präsentieren. Alle Erwartungen einmal ausblenden. Ich merke gerade, wie nötig ich es habe und wie sehr es höchste Zeit ist, wenn ich nicht ausbrennen will. Darüber muss ich immer ein bisschen lachen, weil ich doch so viel weniger mache als all die anderen, so faul und unfähig bin. Und mich dann korrigieren, denn eigentlich steht mir nur weniger Energie zur Verfügung als anderen. Weil der Rest dafür draufgeht, den Panzer aufrechtzuerhalten, die Mauer in meinem Kopf, die mich vor all dem Schrecklichen da drin bewahrt. Unsortiert und unbeachtet liegt es dort rum. So wird es wohl noch eine Weile bleiben müssen, denn ich habe kein Supportsystem, das mich auffängt. Ich muss erst genug Geld verdienen, um mir längeres Kranksein leisten zu können. Oder auch nur das Risiko, längere Zeit auszufallen. Und ich kann mich auch emotional nicht fallen lassen. Nicht solange ich Teil von Nevas Auffangsystem bin. Klar, das ist freiwillig, aber ich weiß, dass sie mich allein nicht halten kann, dass es ihr erst selbst bessergehen muss. Und ohne sie tut sich ja nur ein leeres Loch auf. 

Das Funktionieren auf einem hohen Level hat immer auch einen hohen Preis. Es ist die Notwendigkeit, die sich aus Alternativlosigkeit ergibt. Wenn man nicht sterben gehen möchte. Es bedeutet, einen Teil von sich selbst verkümmern zu lassen, den Kontakt zu sich selbst immer wieder zu verlieren. In einen Teufelskreis zu geraten: Niemand ist da – ich muss funktionieren – ich funktioniere – niemand hält es für notwendig, da zu sein – 

Es ist schwierig, weil du auch nie so genau weißt, wie es dir wirklich geht. Objektiv betrachtet müsste es dir doch eigentlich gut gehen, es gibt keine sichtbaren Gründe für das subjektive Empfinden, nichts auf die Reihe zu kriegen, nicht richtig am Leben zu sein. Manchmal kommen Momente des Bewusstseins, ob positiv oder negativ, doch zwischendurch fühlt es sich an, als wärst du gar nicht richtig da, würdest über dir schweben und alles nur dumpf und diffus wie durch einen dicken schweren Vorhang wahrnehmen. Aber von außen merkt es keine*r, der Vorhang ist für sie vollkommen unsichtbar! Es scheint manchmal unbegreiflich, dass sie ihn nicht sehen können!! 

Das Leben ist so komplex und im Internet versuchen alle, dem mit eindimensionalen Lösungen und Denkansätzen zu begegnen. Mit Idealen, die nur für diejenigen ideal sind, die das Ideal mitbegründen. Es ist unmöglich, alle mitzudenken in einer „perfekten“ Lösung, weil Perfektion immer einseitig ist.

Am Ende müssen wir alle selbst herausfinden, wie wir unser Leben leben können und wollen, was wir brauchen und was nicht, wer uns beeinflussen darf und wer nicht, was für mich richtig ist und was nicht. Das darf und wird immer unterschiedlich sein.

Was denkst du dazu?

Die Sonne scheint auf zwei grüne Laubbäume in einem Park

Samstag, 3. Juli 2021

Vom Freisein, vom Schreiben, von Schubladen und Beschränkungen

 Danke. Zu meinem letzten Post habe ich unerwarteterweise ein paar tolle Kommentare bekommen. Von Menschen, die weiter lesen wollen. Die selbst noch schreiben. Oder sogar wieder einen Blog eröffnen, so wie Sunshine. Dass hier eine Person ist, die schon mit 12 auf Blogger mitgelesen hat und jetzt 19 ist, so alt wie ich, als ich hier anfing, ist irgendwie unglaublich! Jemand schrieb mir schon letztes Jahr zu meinem Abschiedspost: „Ich bin mit deinem Blog erwachsen geworden. Du hast mein Leben verändert.“ Das hat mich damals zum Weinen gebracht und treibt mir schon wieder die Tränchen in die Augen. Ich bin eben doch tief im Innersten etwas sentimental. 

Ihr habt mir gezeigt: Ich bin frei hier zu schreiben, egal, wer noch da ist und wer nicht. Jedes Lesen zählt. Es geht darum, sich alles von der Seele zu schreiben und Menschen zu finden, die zuhören. Hier zählt es gerade nicht, wie viele Follows wir haben. Überall sonst ist das für mich inzwischen wichtig. Klicks, Reichweite, Öffnungsraten, Conversions, von zahlenden Kund*innen hängt meine Existenz da draußen ab. Neben allem, was ich an meiner Arbeit liebe, möchte ich ihr doch oft entfliehen – der Aufmerksamkeitsökonomie. The Social Dilemma auf Netflix ist sicherlich etwas überdramatisiert. Aber niemand kann leugnen, dass sich das Internet in den letzten acht Jahren rasant und stark verändert hat.

Damit umgehen zu lernen ist nicht leicht. Alles dreht sich manchmal viel zu schnell, gerade in dieser Zeit, die wenig Reize von außen bietet. Von draußen! Einmal bin ich ganz bewusst und achtsam spazieren gegangen. Und dann wurde mir plötzlich bewusst, dass ich mich in der physischen Welt befinde, der Welt zum Anfassen. Ich habe Blumen und Blätter und das Gras berührt. In den Himmel geschaut und immer weiter und weiter geguckt, ohne Bildschirmrand drumherum. Ich habe den Vögeln zugehört, gespürt, wie eine Taube nah an mir vorbei flog, den Wind wahrgenommen. 

Das ist schon ein bisschen her. Zu Beginn des Frühlings. Heute kommt mir dieser Moment fast albern vor. Jetzt spüre ich ja auch gerade den Wind an den Füßen, der zum Fenster hereinweht. Ich habe aber auch einige Maßnahmen getroffen, die mich wieder ins Hier und Jetzt zurückholen. Und doch verliere ich mich manchmal wieder in den Problemen und Diskussionen anderer Leute, vergesse ich meine Prioritäten und fühle die Panik einer anderen. Das ist doch verrückt, wie man die Gefühle anderer Leute auf sich selbst projizieren kann? Ich verhalte mich doch gar nicht so, mir ist so was auch noch nie passiert, wovor also sollte ich Angst haben?

Ich liebe es gerade so sehr, wie ich mich in meinen Gedanken verliere, Assoziation für Assoziation einfach weiter schreibe. Das fehlt. Du schreibst einfach anders, sobald mehr als 1000 Leute dir auf die Finger schauen. Immer im Kopf, welche Gruppe was wie interpretieren könnte. Fragst dich, wie du gleichzeitig korrekte Formulierungen verwenden und dich verständlich machen kannst. Löschst Hate löschst Hate löschst Hate. Und kein Fehler wird dir verziehen. Und die Diskussionskultur kann nicht kritisiert werden, weil irgendwelche Leute dieses mal konstruktive Instrument des Kritisierens für ihre Zwecke missbrauchen, um sich selbst darzustellen und von den eigenen Fehltritten abzulenken. Manchmal fühle ich mich wie im Kindergarten und keine Gruppe ist besser als die andere. Aber ich vielleicht auch nicht. Es ist kompliziert.

Ich bin also hier. Vor über vier Jahren habe ich einen Post über die zwei Welten geteilt, den ich für euch wieder auf öffentlich gestellt habe. Ich fühlte mich zwischen den Welten und obwohl ich wenig später Zutritt zu einer der kleinen Welten erhielt, spürte ich bald, dass ich nicht passte, die Codes nicht kannte und mich auch niemand in sie einführte – sodass diese Welt mich bald ghostete. Jetzt merke ich, dass sich innerhalb der kleinen Welten noch kleinere Welten befinden und darin womöglich noch winzigere, fein säuberlich in Schubladen sortiert. Und ich passe wieder nicht! Jede Definition fühlt sich zu eng an, jedes Label beschränkt.

Hier, in der Blogger-Welt, sind wir alle kleine Welten. Natürlich passt es nicht mit allen. Und doch hatte ich hier zum ersten und einzigen Mal das Gefühl, einer Gemeinschaft, einer „Community“ anzugehören, Teil einer Gruppe zu sein, in der ich einen Platz habe. Nichts verpflichtet mich, hier zu sein oder in einer bestimmten Regelmäßigkeit zu posten. So viele andere sind einfach wortlos verschwunden. Doch jedes Mal, wenn ich schreibe, ist jemand hier. Liest jemand mit. Schreibt mir ein paar Worte. Jeder Blog ist ein eigenes kleines Universum, in dem wir die Regeln schreiben. Wen wir in unserer Leseliste haben, wessen Postings wir wann sehen, bestimmt hier kein Algorithmus. Auch wenn das ziemlich oldschool ist und wir immer noch eine Google-Plattform nutzen...

Ich werde hier sein, so lange und so oft ich möchte. Nichts versprechen und versuchen, nicht mehr so viel über verschwundene Blogger*innen zu meckern. :D 

Und ich freue mich über dich, weil du das hier immer noch liest. Danke! Und sollte ich mich doch wieder einmal länger nicht melden, erreichst du mich immer unter elfentrauma@web.de. 💖

Abendhimmel mit zartrosa und lilafarbenen Wolken