Samstag, 27. Mai 2017

Von Glitzermomenten und schönen Tagen

Ich habe heute mit Neva telefoniert – zum ersten Mal überhaupt, denn sie besucht mich im Sommer in Berlin und da wollten wir uns schonmal ein bisschen näher kennenlernen. Wir haben darüber gesprochen, wie viele und auch wir dazu neigen, mehr über das Schlechte zu schreiben, als das Gute. Das macht in gewisser Weise Sinn: Wir wollen uns ausdrücken, wenn es uns schlecht geht, weil es sich dann besser aushalten lässt – also schreiben wir. Und wenn es uns gut geht, schreiben wir gar nicht. Wir nehmen das dann einfach als selbstverständlich hin, vielleicht weil es bedeutet, dass wir für diesen Moment mit unserem Befinden nicht von der (vermeintlichen) Norm abweichen. Manchmal möchte ich einen schönen Moment aber auch einfach nur genießen, ohne ihn zu zerdenken.

Viele Menschen verlassen die Bloggerwelt, diese kleine hier zumindest, sobald es ihnen besser geht. Und ich kann mehr als verstehen, dass manche von ihnen diesen Abstand brauchen, Abstand in einer Gemeinschaft, in der das Schlechte offen ausgesprochen wird und man nun einmal besonders auf sich aufpassen muss, wenn einen diese Dinge triggern, wieder zurück zu fallen. Trotzdem ist es schade, wenn Blogger*innen einfach wortlos aus dieser Welt verschwinden, mit denen mich ein teilweise jahrelanger gemeisamer Weg verbindet. Dinge verändern sich und auch ich habe mich mit einigen ehemaligen Freund*innen und Wegbegleiter*innen schon auseinandergelebt. Aber ich halte es für genauso wichtig, die Menschen, die meine Worte seit mehreren Jahren regelmäßig lesen, auch an den Weiterentwicklungen und positiven Wendungen teilhaben zu lassen; zu zeigen, dass Schlimmes zu erleben nicht heißt, dass es mir permanent schlecht geht. Ich möchte nicht den Anschein geben, Situationen wie meine seien aussichtslos oder es gäbe nur eine einzige Art, darauf zu reagieren und damit umzugehen. Und ich spreche dabei nur für mich selbst, denn niemand ist der Öffentlichkeit oder den Leser*innen verpflichtet. Jede*r muss individuell für sich einen Weg finden, der passt. Dieser hier ist meiner.

Heute ist also ein schöner Tag. Und ich lüge nicht, wenn ich sage, dass es davon in letzter Zeit nicht besonders viele gegeben hat. Das letzte halbe Jahr ist anstrengend und kompliziert gewesen und ein Ende dieses Zustands ist nicht wirklich in Sicht. Umso wichtiger ist es gerade in dieser Zeit, die Highlights auch als solche wahrzunehmen. Wie ihr vielleicht wisst, habe ich bereits vier oder eigentlich schon fünf meiner sechs Ziele für 2017 erreicht. Offensichtlich habe ich mir nicht allzu schwere Aufgaben vorgenommen. Um eines der letzten noch offenen Ziele ging es natürlich heute, als ich mit Neva telefonierte: Meine liebsten Internet-Menschen im Real Life zu treffen. Und mir ist aufgefallen, wie lange ich so etwas nicht mehr gemacht habe.

Ich habe versucht, sie zusammen zu zählen, und ich bin auf mindestens 10 Menschen gekommen, die ich im Internet kennengelernt und später im Real Life getroffen habe. Und die meisten davon 2013 und 2014. Im Sommer 2014 ist es plötzlich still in mir geworden, und ich habe das Gefühl, dass diese kalte Stille bis heute nicht gewichen ist. Sie hat in mir ein noch tieferes Misstrauen in meine Mitmenschen ausgelöst und ja, dieses Misstrauen wurde im letzten Jahr sogar noch verstärkt. Aber es liegt vermutlich daran, dass es die falschen Menschen waren, denen ich nicht misstraut habe und die mich so enttäuschen konnten. Hingegen gibt es so tolle, liebe Personen, die ich noch nie getroffen habe, aber die mich seit Jahren treu begleiten. Und dann gibt es diejenigen, mit denen beides geht: Internet- und Real-Life-Freundschaft. Als bestes Beispiel kann ich immer nur meine Kiwi nennen, mit der mich mittlerweile eine gute Freundschaft verbindet, da wir nun ja auch in der selben Stadt wohnen. Es ist eigentlich wirklich beeindruckend, dass so etwas möglich ist! Warum also sollte ich mich nicht öfter trauen, auf Menschen zuzugehen, die mich wirklich interessieren?

Es ist schön, mit einer fremden Person zu telefonieren, die man schon so lange kennt. Ich mag diesen Satz. Und mein schöner Tag heute hat mich daran erinnert, wie wichtig Menschen sind und warum es so bedeutsam ist, sich mit Menschen zu umgeben, die einem gut tun. Ja, es gehen Menschen verloren, wenn Du Dich dazu entschließt, wirklich nur die in Dein Leben zu lassen, die Dir ein gutes Gefühl geben. Aber es ist so wichtig, Menschen um sich zu haben, die das eigene Selbstvertrauen unterstützen. Die Nörgler*innen und Unterdrücker*innen und "Du wärst viel schöner/besser/beliebter, wenn..."-Sager*innen braucht wirklich niemand und wenn sie nörgeln und unterdrücken und solche Sachen sagen, bist Du vielleicht auch nicht der richtige Mensch für sie. Was nicht heißt, dass es nicht für jeden Menschen die richtige Gesellschaft gibt. Es gilt nur, genau zu prüfen, die Augen offen zu halten und diese Personen zu finden. Das erfordert manchmal eben auch den Mut, mit "wildfremden" Menschen zu telefonieren.

Danke, Neva! 💖


Sonntag, 21. Mai 2017

Zwei Welten

Eigentlich gibt es nicht nur zwei Welten, sondern ganz viele. Aber in so vielen verschiedenen lebe ich nun auch wieder nicht. Eigentlich in keiner. Denn meinem Gefühl nach passe ich in keine Welt so richtig rein. Da gibt es die große Welt. Die, in der alle "normal" sind. Oder jedenfalls so tun. Denn diese Welt erhebt für sich den Anspruch, die "richtige" zu sein. Und so versuchen viele in diese Welt hinein zu passen, obwohl sie es eigentlich nicht tun.

Ich lebe in der großen Welt, so wie wir alle, irgendwie. Es gibt Teile der großen Welt, die akzeptieren auch die anderen Welten – als anders, aber in Ordnung. Sie haben nichts dagegen, dass es auch noch Parallelwelten gibt. Und andere Teile, die wollen, obwohl sie schon zur großen Welt gehören, auch noch die einzige sein. Die verleugnen die anderen Welten oder sagen, dass sie schlecht sind. Und genau in diesem Teil der großen Welt bin ich aufgewachsen und sozialisiert worden. Ich habe gelernt, dass nur die große Welt zählt und die kleinen schlecht, böse, krank und abartig sind. Sünde. Ich bin damit groß geworden, dass es übergeordnete und untergeordnete Welten, Menschen gibt.

In "meinem" Teil der großen Welt habe ich mich nie wohlgefühlt. Ich wusste, dass ich nicht richtig war, nicht passend für diese Welt, ein Versehen, das es eigentlich niemals hätte geben sollen. Aber auch dem Rest der großen Welt konnte ich mich nicht wirklich zuordnen. Ich teilte nicht die Erlebnisse, Träume und Wünsche der Anderen. Und heute fühle ich mich fremd – zwischen Frauen in meinem Alter, die von ihren langjährigen Partnern sprechen, und vom Heiraten und Hausbau und Scheidung, die über mögliche Schwangerschaften von Kolleginnen spekulieren und die sagen, es sei heutzutage ja ein Wunder, wenn Partnerschaften mehrere Jahre hielten, und dass Gesellschaft immer verdorbener wird und früher alles besser gewesen sei. Ein Mann sitzt mir gegenüber und sagt, in Deutschland müsse man nichts mehr verbessern, besser könne es gar nicht mehr werden, allen ginge es gut und alle Menschen könnten so leben, wie sie wollten; und mir entgleisen die Gesichtszüge. Ich beiße mir auf die Zunge, wenn sie sagen, vollständige Gleichberechtigung sei längst erreicht und sogar die Homos hätten mehr als genug Rechte, früher waren die noch froh, überhaupt leben zu dürfen; die sollten echt mal dankbarer sein. Und ich bemühe mich, nicht zu schreien, wenn jemand im gleichen Atemzug mit seinem Lob an die Welt Vergewaltigungen rechtfertigt. Nein, das ist nicht meine Welt.(*)

Aber in eine der kleinen Welten, die mir so viel sympathischer sind, passe ich auch nicht. Denn für sie bin ich ein Teil der großen Welt und vielleicht haben sie damit recht. Denn in meinem Leben, zumindest im "Real Life", befinden sich nur solche Menschen, wie die oben beschriebenen. Und ganz automatisch – früher vielleicht, um in dieser Welt zu überleben, und heute aus Gewohnheit – habe ich mich angepasst. Ich lache über die Witze der Groß-Weltler*innen, rede wie sie und, manchmal, mache ich die selben Witze auf Kosten anderer. Aber meistens schweige ich, lächele und nicke, denn ich weiß, dass meine Meinung in der großen Welt nicht gefragt ist. Ich habe mich schon oft im Widersprechen und Diskutieren ausprobiert. Doch die Großen reden einen immer kleiner und kleiner und müssen in jedem Fall am Ende recht behalten; sie ertragen keine Meinungsverschiedenheit.

Ich glaube, viele kleine Welten möchten sichere Orte sein. Das ist mehr als verständlich und schließt doch andere genauso aus, wie es die große Welt tut. Ich glaube, meine favorisierte kleine Welt will  mich nicht, weil ich zu viel von der großen Welt habe, die mich schon mein Leben lang beeinflusst. Ich habe das Gefühl, ich kenne das Codewort nicht und werde an der Tür deshalb abgewiesen. Ich bin nicht vertraut genug mit den Gepflogenheiten dieser kleinen Welt. Aber was macht eine Welt zum sicheren Ort, in der Dresscodes gelten und Sprach-Polizist*innen einem den Mund zuhalten? Warum darf ich nicht langsam dazu lernen? Warum muss ich schon vorher über alles Bescheid wissen, bevor  man mir überhaupt einen Blick in die kleine Welt gewährt? Wie soll ich mich sicher fühlen, wenn ich keinen Fehler machen darf? Dabei weiß ich doch schon so viel mehr, als die "normalen" Groß-Weltler*innen. Was muss ich noch alles tun? – Ich bin keine Kriecherin. Und wenn die kleine Welt mich nicht will, dann passe ich eben in keine Welt. Aber fair ist das nicht. Wo ich doch eine von euch bin. Oder vielleicht nicht?

Wer bin ich?



(*)Damit möchte ich nicht sagen, dass jede*r Mensch aus der "großen Welt" so redet oder denkt – es sind nur jene, die mich umgeben. Das Welten-Bild passt gerade am besten zu meiner Wahrnehmung. Letzen Endes leben wir natürlich alle in einer Welt, gewissermaßen, oder eben in ganz, ganz vielen.