Mein Körper fühlt sich taub an.
Als wäre er gar nicht mehr da.
Er ist aber da.
Leider.
Ich bin leer.
Belastet.
Schwere Leere.
Leere Schwere.
Kann nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.
Will mich klein machen.
Verschwinden.
Mich trennen.
Von mir selbst.
Es tut weh.
Ich bin weg.
Weit weg.
Aber nicht sicher.
Nie.
Ich sitze im Bett und starre auf mein Handy. Es ist sieben Uhr morgens. Der Wecker klingelt. Ich überlege gerade, ob ich zur Uni gehen oder mich einfach wieder hinlegen soll, als die Badezimmertür laut quietscht. Bis meine Mitbewohnerin fertig ist, wird es sowieso zu spät. Ich wickele mich in meine Decke und höre noch die Wohnungstür zufallen, bevor ich einschlafe.
Um zwölf Uhr irgendwas werde ich davon wach, dass ein Gegenstand krachend umfällt. Jemand rennt leise fluchend hin und her, wirft noch etwas um und knallt schließlich mit der Wohnungstür. Ich stehe langsam auf, koche Kaffee, suche zähneputzend ein paar Klamotten zusammen und lasse Badewasser ein. Mit einem lila gemusterten Feuerzeug zünde ich Vanilleduftkerzen an und stelle sie zusammen mit der Tasse auf den Badewannenrand. Dann tauche ich in den rosenblütenduftigen Schaum hinab. Sein leises Knistern und das Rauschen der Heizung sind die einzigen Geräusche im Raum.
Eigentlich bade ich nie. Ich hasse baden schon seit ich denken kann. In der Wohngruppe wurde ich trotzdem zum wöchentlichen Badetag gezwungen, weil das den anderen gegenüber ja sonst unfair gewesen wäre. Also habe ich jede Woche eine halbe Stunde lang auf trockenem Boden gesessen und geträumt. Heute ist das anders. Ich bin allein zu Hause. Das kalte Badezimmerlicht ist ausgeschaltet. Die Tür ist fest verschlossen. Die Heizung steht auf fünf. Mir ist trotzdem kalt. Niemand wird meinen Kopf an den Haaren brutal nach hinten ziehen. Leises Plätschern statt stummer Schreie.
Die Flammen spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. Tausendfach, wenn ich mit den Zehen Wellen mache. Ich betrachte meinen linken Arm. Er ist mit Wörtern vollgekritzelt. Ein rosa Badekonfetti-Herz kommt vorbeigeschwommen. Ich lege es auf meine Fingerspitzen und streiche behutsam über den Arm, bis die Wörter verblassen. Der Kaffee ist fast kalt geworden, als mir wieder einfällt, dass er da ist. Langsam löst der Schaum sich auf. Ich steige aus. Meine Haut dampft. Im Flur ist es kalt. Ich laufe ein bisschen hin und her. Dann setze ich mich an mein Klavier. Das erste Mal seit ich von Weihnachten zurück bin. Die Cis-Taste ist immer noch kaputt. Wenn man sie drückt, knallt der Ton viel zu laut heraus. Ich versuche es auch mit Singen.
Meine Maske ist echt, drum erkennt keiner mich. Das Lied hat mich dazu gebracht, die venezianische Maske über das Klavier zu hängen. Sie passt so sehr zu mir... Meine Stimme klingt wie die einer Krähe. S. und ihre Gruppe haben die Dokumentation über einen Operngesangsstudenten gedreht. Am Wochenende waren wir mit ihm und seinen Kommilitonen etwas trinken. Ich habe immer noch einen Ohrwurm von
In einem kühlen Grunde und ich wünschte, ich hätte die Musik nicht aufgeben müssen.
Meine Geige steht in einer staubigen Ecke. Ich befreie sie aus ihrem Sarg. Ihre Saiten sind verstimmt. Ich drehe ein bisschen herum, dann spiele ich so vor mich hin.
Du brauchst neue Saiten, stelle ich fest.
Wenn ich wieder Geld habe. Ich bette sie wieder ein. Mir war nie bewusst, wie körperlich anstrengend das Spielen ist. In elf Jahren Unterricht vergisst man das. Nach drei Jahren Trennung weiß ich immer noch, wie man sie zum Klingen bringt. Warum geht das nicht bei den Instrumenten, die ich lieber mag? Dabei fordert die Geige so viel Liebe ein. Genug Liebe, um sie nicht an die Wand zu klatschen, obwohl sich in ihren Hohlräumen immer noch die Stimme meiner Mutter verbirgt. Ihr niederschmetterndes Schreien und das peitschende Geräusch, das ein Bogen macht, den man zweckentfremdet.
Hassliebe.
Dieser Tag bringt mir mehr als eine Stunde in der Uni, habe ich das Gefühl. Ich kauere mich in mein Bett und lese ein Buch. Meine Gedanken schweifen ab. Hin und wieder tropft eine Träne aufs Papier. Mir ist eiskalt. Ich mache mir eine Gespenstersuppe warm. Schließlich habe ich erst eine Tafel Schokolade und ein paar Salzbrezeln gegessen. Der Versuch, gleichzeitig zu essen und zu lesen, erweist sich als ziemlich umständlich. Gleichzeitig essen und denken ist nie eine gute Kombination. Wie so oft in letzter Zeit wird mir schlecht. Ich schaffe es gerade noch, Wasser hinterherzukippen, bevor ich ins Bad renne und mich übergebe. Das mit dem Übergeben passiert sonst nicht. Aber es fühlt sich besser an, als diese Übelkeit. Jetzt bin ich noch ein Stückchen leerer. Während ich das schreibe, esse ich schon wieder Schokolade. Mein Kontostand guckt mich ziemlich böse an.
Der Monat ist doch fast vorbei., beruhige ich ihn und denke nicht an den nächsten. Ich lebe weder in der Zukunft noch in der Gegenwart. Ständig schaue ich auf mein Handy. Ich weiß nicht, worauf ich warte. Vielleicht auf eine E-Mail oder eine Nachricht. Vielleicht sogar auf einen Anruf. Auch wenn wir es niemals zugeben würden: insgeheim warten wir doch immer noch darauf, dass jemand kommt und uns rettet. Obwohl wir wissen, dass das nicht möglich ist.
Ich wiege mich hin und her und höre Musik aus vergangenen Zeiten. Komme nicht aus meinem Kopf raus. Bin gefangen in eisiger Stille.
Wir müssen nach vorn schauen. Wir haben keine andere Wahl. Wir können das. Wir wollen das. Wir schaffen das. Das versuche ich mir einzureden. Denn ich weiß, dass es stimmt. Nein, ich weiß es nicht. Ich wüsste es nur gern. Aber vielleicht stimmt es.
Vielleicht schließt nichts aus. Wir müssen nur akzeptieren, dass niemand die Hand nach uns ausstrecken wird. Wir müssen unsere Hände ausstrecken und nach den Steinen greifen, die uns den Weg versperren. Nur wenn wir sie zur Seite rollen, können wir weitergehen. Und weil
wir immer viele sind, kommen wir vielleicht auch gegen die vielen Steine an.